i(p+r)/n Conference # 2 : CHANGING FACES I 'shifts ' 06

University of Jyväskylä, Finland | Oktober 2006 I plenum talk .............deutsch | english

SEEING AND BELIEVING // eine reflexion über die medialität der photographie

wie photographiere ich menschen / wie kommuniziere ich mein interesse / wie bewältige ich die durch
meine anwesenheit verursachte veränderung der ursprünglichen situation / wie konstruiere ich photos
von menschen / was zeigt eine photographie eines menschen / wie interpretiere - lese - ich bilder /...

Sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Photographien sind komplexe Prozesse. Im Bild wird
eine subjektive Wahrnehmung der äußeren Realität zu einer persönlichen Botschaft formuliert. Diese
Bildaussage wird bei der Betrachtung individuell interpretiert. Im Bewußtsein dieses Spannungsfeldes
verstehe ich Photographie als ein Medium zur Reflexion der Wirklichkeit. Darüber hinaus beeinflußt ein
unvermeidliches und komplexes Geflecht von Faktoren wie z.B. persönliche, gesellschaftliche, ideologische
und ökonomische, sowohl die Konstruktion als auch die Interpretation eines Bildes.

Intention

Seit 30 Jahren entwickle ich meine künstlerisch dokumentarische Photographie im Spannungsfeld von
Auftragsarbeiten und freien Produktionen im Medien - und Kunstkontext. Schwerpunktmäßig befasse
ich mich mit der Darstellung der Menschen in ihren Beziehungen zueinander und zu ihrer Umwelt.
Meine Intention ist die visuelle Übertragung individueller Lebensimpulse. Insbesondere die Suche des
Menschen nach Identität und deren Ausdruck ist immanenter Bestandteil meines Werkes.
In Auseinandersetzung mit meiner eigenen Lebenserfahrung bewegen mich Fragen nach der
Bedeutung von Identität. Danach, wie sie gelebt und ausgedrückt wird. Ich erforsche die Schnittstelle,
an der sich der Einzelne mit seiner ihm eigenen Persönlichkeit, in seiner Umwelt darstellt. Mich als
gesellschaftliches Wesen begreifend, möchte ich meine Eindrücke, so wie ich sie erfahre, mit meinen
Bildern zur Diskussion stellen.

Bildverständnis

Ich verstehe Photographie nicht als Medium zur Darstellung einer objektiven Wahrheit. Schon die
Motivauswahl und die Bildgestaltung sind Ergebnis einer subjektiven Entscheidung. Von daher arbeitet
Photographie immer mit den Möglichkeiten der Inszenierung. Die Verknüpfung von subjektiver Bildgestaltung
und der auf dem Bild erkennbaren Wirklichkeit, läßt den Betrachter sehr leicht die vermittelnde Funktion von
Photographie vergessen. Er glaubt, mit Hilfe des Bildes die Situation selbst zu sehen. Dabei handelt es sich
jedoch bei einer Photographie um eine künstlerische Dramatisierung.

Arbeitsweise

Am Prozeß des Photographierens fasziniert mich die Möglichkeit, erlebte Momente als Bild zu fixieren
und eine Essenz aus dem Geschehen herausarbeiten zu können. Diese verschiedenen Realitätsfragmente
setze ich in Beziehung zueinander und komponiere so meine Bildserien. Wenn ich photographiere,
beobachte ich die Menschen sehr genau. Ich wähle die Momente aus, von denen ich glaube, daß sie
die Dargestellten in ihrer Lebenssituation glaubürdig portraitieren. Doch welche Bilder ich aus dem
Geschehen herausgreife, und welche Aussage ich durch die Kombination meiner Bilder formuliere, bleibt
meine subjektive Entscheidung. Den Dargestellten gegenüber empfinde ich eine Verantwortung und wäge
daher sehr genau ab, in welchen Situationen ich photographiere, und welche Bilder ich öffentlich zeige.

Mittels der Abbildungsfähigkeit der Photographie transformiere ich gesehene Blicke und erlebte Eindrücke
in einzelne Photographien. Die Signifikanz der einzelnen Bilder ist das Resultat eines längeren
Arbeitsprozesses, bei dem sich meine Wahrnehmung für die themenspezifische " Emotionalität "
sensibilisiert. In ihrer Addition ergeben diese Photographien ein thematisches Werk, das universelle
menschliche Erfahrungen reflektiert.

Bildserie als Gesamtbild

Die Bildserie spielt in meiner Arbeit eine wesentliche Rolle. Sie vermittelt - in ihrer auf den speziellen
Präsentationskontext abgestimmten Komposition - das intendierte Gesamtbild. Die Aussage setzt sich
aus vielen, genau aufeinander abgestimmten Einzelbildelementen zusammen und bringt als Sequenz
die inhaltliche Vielschichtigkeit der jeweiligen Thematik zum Ausdruck.

Projekte


Meine Themenfindung stellt eine Reflexion meiner eigenen Geschichte dar. Schwerpunktmäßig habe
ich mich mit den Projekten Deutsche Volksfeste, Sich selbst finden, " Wie in einen Spiegel schauen "
und acker * arable land beschäftigt.

Deutsche Volksfeste habe ich von 1985 - 1991 in verschiedenen Regionen Westdeutschlands
photographiert. Mein erstes Interesse war zu zeigen, wie Kinder von ihren Eltern geprägt werden,
wenn diese ihnen vorschreiben, wie sie sich in Gesellschaft mit Erwachsenen zu benehmen
haben. In Erinnerung an meine eigene Kindheit sah ich Kinder in Situationen, in die ich mich
emotional hineinversetzen konnte. Ich bin mir des Konfliktes zwischen meinem photographischen
Interesse und meiner Verantwortung den Dargestellten gegenüber bewußt und wäge daher sehr
genau ab, in welchen Situationen ich photographiere, und welche Bilder ich öffentlich zeige.

In Auseinandersetzung mit meiner eigenen Jugend ist der Zyklus Sich selbst finden in den Jahren
1988 - 1990 in Essen entstanden. Das Lebensgefühl der Menschen, die ich bei dieser Arbeit
photographierte, erinnerte mich an mein eigenes Gefühl als Jugendlicher, in der Gesellschaft keine
eigene Zukunftsperspektive zu sehen. Im Laufe der Entwicklung dieser Arbeit wurde mir jedoch
meine interpretierende Position als Photograph sehr bewußt. Das Geschehen, welches ich bei
Sich selbst finden miterlebte, war nicht mehr mit dem meiner eigenen Jugend vergleichbar.
Ich spürte auch, daß ich ihren Lebensstil mit den Augen eines Erwachsenen betrachtete. Es lagen
mittlerweile mehr als zehn Jahre dazwischen. Aus dieser Spannung zwischen Sympathie und
Distanz entwickelte ich meine photographische Aussage.

Nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Lebensweise anderer Menschen, wollte ich mich
mit meiner eigenen Identität beschäftigen.

" Wie in einen Spiegel schauen " ist schwerpunktmäßig in den Jahren 1990 - 1995 in unserer Wohnung
in Essen entstanden. Ich habe diese räumliche Beschränkung gewählt, um mich für die Eindrücke
sensibilisieren zu können, von denen ich alltäglich umgeben bin. Der Wechsel von Licht und Schatten
inspirierte meine Wahrnehmung vertrauter Lebensräume. Das Wachsen der Blumen verdeutlichte mir
die Entwicklung im Laufe der Zeit. Meine auslösende Intention war, meinen damaligen Gemütszustand
zu reflektieren und zu verarbeiten. Ich begann, die sukzessive Veränderung meiner persönlichen
Befindlichkeit zu thematisieren. Ich wollte Selbstportraits anfertigen, die den Eindruck vermitteln, als ob
ich in einen Spiegel schauen würde, und dadurch einen mir alltäglich vertrauten Anblick fixieren.

acker * arable land ( 1999 - 2004 ) thematisiert die Wachstumsprozesse der Natur. Ich zeige wie
die landwirtschaftliche Einflußnahme des Menschen im Zusammenwirken mit den Naturkräften
Kulturlandschaft formt. Die Photographien spiegeln Blicke, die das Wachsen aber auch das
Vergehen der Pflanzen und Tiere zum Ausdruck bringen. Dem Rhythmus der Jahreszeiten folgend
visualisiere ich einen organischen Lebens - und Arbeitsprozeß und vermittle eine ermutigende
Auseinandersetzung mit dem Alter.

Fazit und Ausblick

Meine Erfahrungen mit dem photographischen Darstellungsprozeß lassen mich das Photographieren
mit der Inszenierung eines Theaterstückes vergleichen. Bei einer Theaterinszenierung werden die
menschlichen Charaktere von Schauspielern dargestellt. In der Photographie nimmt das Bild die
Position eines Schauspielers ein. Die Faszination bei der Betrachtung von Photographien resultiert
aus ihrer inhaltlichen Mehrdeutigkeit. Das photographisch fixierte Bild wird von den Betrachtern
individuell interpretiert.

An der Photographie fasziniert mich die Möglichkeit, die Kamera wie eine Lupe zu verwenden und
mit ihr das Leben zu betrachten. Es inspiriert mich, meiner Intuition zu folgen und durch den präzisen
Einsatz der visuellen Mittel Bilder zu formulieren, die meine persönliche Sichtweise ausdrücken.

Oktober 2006